Title: Globalisierung - Primer
1 Direkte Demokratie - Die politische Ohnmacht der
BürgerInnen überwinden Prof. Dr. Hermann K.
Heußner
Ringvorlesung Konflikte in Gegenwart und
Zukunft, Universität Marburg, Zentrum für
Konfliktforschung, 4.5.2009
2Gliederung
- Vorbemerkung
- Demokratiefunktion
- Demokratie(un)zufriedenheit
- Ohnmacht der BürgerInnen
- Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung
- Wo gibt es Volksgesetzgebung
- Durchsetzung direkter Demokratie
31. Vorbemerkung
- Vielen Dank für Gelegenheit des Vortrags
- nur Holzschnitt
- Manches sehr kurz oder nicht erwähnt
- Direkte Demokratie und Universität Marburg
- U.a.Forschungsstelle Bürgerbeteiligung u. direkte
Demokratie - kein Parteiengegner
- aktives Mitglied einer (Noch)Volkspartei
42. Demokratiefunktion (1)
- Grundgesetz
- Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird
vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch
besondere Organe der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung
ausgeübt. (Art. 20 Abs. 2 GG) - Bundesverfassungsgericht
- Demokratie bedeutet freie Selbstbestimmung aller
Bürger entsprechend dem Willen der Mehrheit (vgl.
BVerfGE 44, 125, 142 107, 59, 92) - Sie ermöglicht und erfordert, daß alle Bürger an
den Gemeinschaftsentscheidungen mitwirken können
und ist auf sozialen Kompromiß der verschiedenen
Interessen angelegt (vgl. BVerfGE 5, 85, 197
ff.).
52. Demokratiefunktion (2)
- Staatsrechtslehre
- Demokratie dient der friedlichen Konfliktlösung
(vgl. Zippelius/Würtenberger, 32. Aufl., 2008,
10, Rz. 6 f.). - Die Interessen, Wünsche, Meinungen und Wertungen
der Mehrheit müssen sich in der Rechtsordnung und
den dort gefundenen Kompromissen wiederfinden
(vgl. Zippelius/ Würtenberger, 32. Aufl., 2008,
10, Rz. 4 ff.). - Aus dieser Responsivität schöpft staatliches
Handeln seine Legitimation (vgl. Böckenförde, in
Isensee/Kirchhof, Bd. III, 2. Aufl., 2005, 34,
Rz. 29, 33 ff.). - Volksherrschaft muss konkret erfahrbar sein (vgl.
Herzog, in Maunz/Dürig, 18. Lfg. 1980, Art. 20
II, Rz. 36).
63. Demokratie(un)zufriedenheit
- Deutschland
- 25 wollen mit Demokratie, wie sie in
Deutschland heute besteht, nichts zu tun haben.
Weitere 34 stimmen dem zwar nicht zu, können
Aussage aber nachvollziehen (Friedrich-Ebert-Stift
ung FES, Studie 2008) - Für 37 funktioniert Demokratie weniger
gut/schlecht (FES-Studie 2008) - 33 mit Funktionieren der Demokratie nicht sehr
/ überhaupt nicht zufrieden (Euobarometer 2008) - 80 für Volksentscheid auf Bundesebene
(Forsa-Umfrage 2006)
73. Demokratie(un)zufriedenheit (2)
- Schweiz
- 11 mit Funktionieren der Demokratie nicht
sehr/überhaupt nicht zufrieden (Messung und
Observation von Sozialen Aspekten in der Schweiz
MOSAiCH 2007) - 92 sehr/ziemlich stolz auf Volksrechte
(Initiative, Referendum) (Gesellschaft für
praktische Sozialforschung, gfs bern 2008) - Kalifornien
- 74 befürworten Volksgesetzgebung (2006, Center
for Governmental Studies CGS 2008) - 61 der Ansicht, daß es wahrscheinlich besser
ist, politische Entscheidungen durch das Volk als
das Parlament fällen zu lassen umgekehrter
Auffassung 23 (Public Policy Institute of
California PPIC 2008)
84. Ohnmacht der BürgerInnen (1)
- Wahlen
- Programmpakete, keine Auswahl
- alles oder nichts
- Unverbindlichkeit / Wortbruch
- Die Mehrwertsteuer wird nicht erhöht
- Verhältniswahlsystem, nicht steuerbare
Koalitionen - Listenwahl
- Abgeordnete stehen schon vorher fest
- Kein Eingriff während der Wahlperiode
- Blankoscheck
- Insbesondere Dysfunktionalität von Wahlen im
Mehrebenensystem - Man schlägt des Sack und meint den Esel
- Unverhältnismäßigkeit von Abwahlen
- Das Kind mit dem Bade ausschütten
94. Ohnmacht der BürgerInnen (2)
- Politische Grundrechte
- Unverbindlichkeit
- Parteien
- Unverbindlichkeit
- Zeitaufwand
- Insbesondere in Familienphase
- Delegiertensystem
- Prohibitive Ausgestaltung von Mitgliederbegehren
und Mitgliederentscheid - Demoskopie
- Unfundierte Flüchtigkeit
- Unverbindlichkeit
104. Ohnmacht der BürgerInnen (3)
- Ergebnis
- Rein repräsentative Demokratie erzeugt
tatsächlich weitgehend - Parlaments- und Verfassungsgerichts-Aristokratie
auf Zeit - Zuschauerdemokratie (Wassermann)
- Demokratie von oben (Steingart)
- ... Schein der Demokratie (v. Arnim)
- Viele BürgerInnen haben weitgehend berechtigten
Eindruck - Man kann ja doch nichts machen
- Die da oben machen ja doch, was sie wollen
- Demokratie funktioniert nicht
115. Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (1)
- Überwindung der Ohnmacht
- Sachauswahl durch BürgerInnen
- Unabhängig von Parteiprogrammen
- Unabhängig von Parlamentskoalitionen
- Unabhängig von Abgeordneten
- Verbindlichkeit
- während der Wahlperiode
- Zielgenauigkeit, keine unverhältnismäßigen
Abwahlen - Funktionalität im Mehrebenensystem
- Angemessener Zeitaufwand
125. Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (2)
- Überwindung der Ohnmacht
- Annahmeraten von Volksentscheiden
- Schweiz
- Fakultatives Gesetzesreferendum 45
- Volksinitiative 9 direkt, ca. 50 lohnten
Aufwand für Träger - (vgl. Heußner/Jung, in Heußner/Jung, 2. Aufl.,
2009, S. 122, 124 ff.) - US-Staaten
- Initiative 41
- (vgl. Heußner, in Heußner/Jung, 2. Aufl., 2009,
S. 135 ff.) - Ergebnisse näher an Präferenzen des Volkes
- Persönliche politische Erfolgserlebnisse
- Selbstwirksamkeit
13Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (3)
- Überwindung der Ohnmacht
- Ergebnis
- mein Engagement hat Wirkung, wenn wir
BürgerInnen Sachfragen selbst entscheiden können - die da oben können nicht machen, was sie wollen
- ich bin mit dem Funktionieren der Demokratie
zufrieden
14Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (4)
- Legitimationswirkung / Befriedung
- Alle brisante Themen kommen zur Abstimmung, z.B.
- Ausländerpolitik
- Atomenergie
- Gentechnik
- Abtreibung
- Europa
- Drogen
- Steuern
- Mindestlohn
- (vgl. zur Schweiz Heußner/Jung, in
Heußner/Jung, 2. Aufl., 2009, S. 122, 124 ff. zu
US-Staaten Heußner, ebenda, S.141 ff. ) - Der Legitimitätsglaube direkter Demokratie ist
eines der zentralen Elemente der schweizerischen
politischen Kultur Referendum und Initiative
werden in Umfragen sogar wichtiger eingestuft als
Wahlen. (Linder, 2. Aufl., 2005, S. 244 vgl.
Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie,
2006, S. 130 ff., 135 zu Atomenergie und
Gentechnik)
15Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (5)
- größere Nachhaltigkeit,Bsp. Schweiz
- Umweltschutz und Verkehr
- (vgl. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und
Demokratie, 2006 bzgl. Volksinitiative S. 135
ff., 146 f. bzgl. obligatorisches Referendum S.
152 ff., 160 f. bzgl. fakultatives Referendum S.
173) - Sozialversicherung
- (vgl. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und
Demokratie, 2006 bzgl. Volksinitiative S. 150
bzgl. obligatorisches Referendum S. 161 f. bzgl.
fakultatives Referendum S. 174 ff., 177) - Staatsausgaben und Steuern
- (vgl. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und
Demokratie, 2006 bzgl. Volksinitiative S. 150
bzgl. obligatorisches Referendum S. 162 ff., 167
bzgl. fakultatives Referendum S. 177 ff., 183) - In Bezug auf das instrumentale Verfassungsrecht
steht die Schweizerische Bundesverfassung ... dem
Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung ... näher
als das Grundgesetz. Hervorragende Bedeutung
haben dabei die Volksinitiative ... das
obligatorische Referendum ... sowie das
fakultative Referendum ... (Glaser, Nachhaltige
Entwicklung und Demokratie, 2006, S. 359)
165. Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (6)
- größeres zivilgesellschaftliches Engagement
- Schweiz
- US-Gliedstaaten
- Abstimmungsbeteiligung von Unterschichtsangehörige
n - Bürgerentscheid Freiburg 2006
- Bürgernähere und stärkere Parteien
- Ständiger Kommunikations-, Erklärungs-,
Überzeugungszwang gegenüber BürgerInnen - Ständige innerparteiliche Diskussion aktueller
Themen - Vorwirkung
- Attraktivität für BürgerInnen mit Interesse an
Inhalten - größerer Organisationsgrad
- Vergleich Schweiz und Deutschland
175. Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (7)
- Weitere Wirkungen
- Schlussstein unverbindlicher Partizipationsforme
n - Verantwortung statt Demoskopie
- Geordnetes Verfahren statt Demagogie
- Bsp. ungeregelte Unterschriftenkampagne gegen
doppelte Staatsbürgerschaft durch CDU in
hessischem Landtagswahlkampf 1999 - Gefahren der Versammlungsdemokratie
- Erweiterung der politischen Agenda
- Insbesondere Jedermanninteressen
- Überwindung von Reformstaus
- Wissen und Kompetenz außerhalb der Parlamente
185. Vorteile und Chancen von Volksgesetzgebung (8)
- Mehr Transparenz in Gesetzgebung
- Kontrolle der politischen Klasse
- Parlamentsentscheidungen in eigener Sache
- Beute der politischen Klasse verhindern
- Mehr Gewaltenteilung
- Kontrolle der Wirtschaft
- Bsp. Managergehälter, Börsenumsatzsteuer,
Finanzierung der Wirtschaftskrise - Progressive und konservative Wirkungen
- US-Gliedstaaten
- Schweiz
196. Wo gibt es Volksgesetzgebung?
- Deutschland
- Kommunalebene überall, aber z.T. sehr restriktiv
- Länderebene überall, aber
- wenig Gesetzgebungskompetenzen, sehr restriktiv,
meist keine Finanzen - Bund nicht
- EU nicht
- Schweiz auf allen Ebenen stark ausgebaut
- USA
- Kommunalebene
- 25 Staaten (Initiative) viele Gesetzgebungskompet
enzen, Finanzen - Kalifornien
- Massachusetts
- Bund nicht
207. Durchsetzung direkter Demokratie
- Soziale Umbruchsituationen
- Schweiz
- USA / Kalifornien
- Deutschland
- Siegeszug seit 1989
- Erfolgsstories, z.B.
- Einführung Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
Bayern 1995 - Verhinderung Stadtwerkeverkauf Leipzig 2008
- Berlin Pro Reli 2009
- ... hat Berlin das aufgeklärte, auch
wissenschaftlich gebildete Gespräch über Religion
gebracht. (M. Küpper in FAZ v. 27.4.2009, S. 10) - Aktuelles Bündnis für Mehr Demokratie
- Überzeugungsarbeit im konservativen Lager
- Wahlkämpfe
- Aktion Volksentscheid ins Grundgesetz
21- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !