Title: Wahlen und Wahlverfahren
1Wahlen und Wahlverfahren
- PD Dr. Silvia von SteinsdorffVorlesung
Demokratien, Autokratien, Grauzonenregime. Die
politischen Systeme in Ost- und Südosteuropa - 05. Juni 2007
2Fazit zu den Grundstrukturen der neuen
Regierungssysteme
- Systemwechsel in MOE als Modellfall für
institutional engineering - Versuch, Vorteile verschiedener
Demokratiekonzepte zu verbinden - Frage der Übertragbarkeit von Institutionen /
institutioneller Logik - Drei große Bereiche des engineering"
- Präsidentialismus oder Parlamentarismus"klassisch
e" Debatte der Politikwissenschaft ? Grundfrage
Systemstabilität versus Regierungsstabilität?
(Zentral-)Europa traditionell parlamentarisch
geprägt? Idee der Mischformen (Semipräsidentialis
mus?) - Konkurrenzdemokratie oder Konsensdemokratie
- Verhältnis- oder/und Mehrheitswahlrecht
3Gliederung
- 0. Konkurrenz- oder Konsensdemokratie
- Wahlverfahren im Überblick
- 1.1 Grundargumente des Wahlrechts-
Engineering - 1.2 Wahlsystemtypen in MOE
- 2. Wahlen als Gradmesser der Demokratiequalität
- 2.1 Allgemein
- 2.2 Frei
- 2.3 Fair
4Konkurrenz- oder Konsensdemokratie?
- Grundsätzlich Konkurrenzdemokratie galt lange
als effizienteste Form der Demokratie
(Westminster-Modell) - Konkordanzdemokratie nur dann, wenn
Konkurrenzmodell aus ethnischen, religiösen oder
sonstigen gesellschaftlichen Gründen nicht
funktionieren kann (z.B. Schweiz, Niederlande,
Österreich)
5Merkmale von Konkurrenz- und Konsensdemokratie
Konkurrenz- / Mehrheitsdemokratie Konkordanz- / Konsensdemokratie
Klare Mehrheitsentscheidungen, meist Einparteien-Regierung Konsensbildung im Vordergrund, Viel- oder Allparteienregierung
Zweiparteiensystem Vielparteiensystem
Mehrheitswahlrecht Verhältniswahlrecht
Pluralistische, von Konkurrenz geprägte Interessenrepräsentation Korporatistische Interessenvertretung (Patronage und Paritätsprinzip)
Unitarischer Staat Föderaler Staat
Einkammersystem Zweikammersystem
Verfassungsänderungen einfach Verfassungsänderungen schwierig (qualifizierte Mehrheiten)
Legislative bestimmt über Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung Ausgeprägte richterliche Verfassungskontrolle
Zentralbank von der Exekutive abhängig Autonome Zentralbank
6Entscheidungs- versus Implementationskosten
- Veto-Spieler-Ansatz ? nicht nur die positive
Macht zum Entscheiden ist wichtig, sondern auch
die Macht, Entscheidungen zu verhindern? je
größer die Zahl der Vetospieler, desto größer der
Zwang zum Kompromiss/Konsens? Entscheidungskosten
steigen - ABER Studien von Arend Lijpardt
zeigenKonsensdemokratien z.T. sehr
leistungsfähig? hohen Entscheidungskosten stehen
geringere Implementationskosten gegenüber
7Vor- und Nachteile
Konsensdemokratie Konkurrenzdemokratie
Starker Minderheitenschutz Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit
Hohe Zahl von Vetoakteuren ? geringe Regierungsstabilität Geringe Zahl von Vetoakteuren ? hohe Regierungsstabilität
Zwang zu Konsens und Kooperation aller Akteure (Nicht-Nullsummen-Spiel) Entscheiden einfach, kein Konsenszwang (Nullsummenspiel?)
Gefahr von Entscheidungsblockaden Schnelle, flexible Entscheidungen
Hohe Entscheidungskosten Geringe Entscheidungskosten
Geringe Entscheidungsfolgekosten (langfristige Lösungen) Hohe Entscheidungsfolgekosten(Gefahr von Stop-and-Go-Politik)
Entscheidungsverfahren undurchsichtig (Eliten-Kompromisse, Proporz) Transparente Entscheidungsfindung
Betonung von Verteilungsgerechtigkeit und Sozialstaatsprinzip Betonung von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Innovation
8Konkurrenz oder Konsens in MOE (1)?
- Voraussetzungen
- Tiefe gesellschaftliche Konfliktlinien
(Postkommunismus/Antikommunismus, Arbeit/Kapital,
Stadt/Land, modern/traditionell) - ethnische Minderheiten
- Unklare/ungleiche gesellschaftliche
Interessenvertretungen (fluide Parteiensysteme
etc.)
9Konkurrenz oder Konsens in MOE (2)?
- (Vorläufiges) Ergebnis
- Konsensorientierung als Erfolgskriterium für
demokratische Konsolidierung - Beispiele
- Zweidrittelgesetze in Ungarn
- Zweite Parlamentskammern in unitarischen Staaten
(Polen, Tschechien) - Inklusive Parlamente (Slowakei, Slowenien)
- Starke Verfassungsgerichte (Ungarn, Polen)
10Grundargumente des Wahlrechts-engineering
- Wahlrecht als Dorado der institutional
engineers - ? (falsche) Vorstellung von dem unmittelbaren
Zusammenhang zwischen Wahlrecht und
Parteiensystem - ? Teilweise extrem komplizierte, gemischte
Wahlsysteme in MOE - Grundentscheidung
- wahrhaftes Wählen versus strategisches Wählen
- Mehrheitssicherung versus Repräsentativität
11Einflussfaktoren auf die Wahlrechtsgestaltung
- Politische Beratung durch externe Akteure (z.B.
electoral assistance unit der UNO, KSZE,
Europarat, International Foundation for Electoral
Systems, deutsche Parteistiftungen) - Machtpolitische Konstellation des Systemwandels
(paktierter Übergang, Implosion etc.) - Vorgründungswahlen vor den eigentlichen
Founding Elections?
12Wahlsystemtypen (1)
- Verhältniswahl in Mehrpersonenwahlkreisen
- Bosnien-Herzegowina
- Estland
- Kroatien (seit 2000)
- Lettland
- Makedonien (seit 2002)
- Polen
- Rumänien
- Russland (ab 2007)
- Serbien
- Slowakei
- Slowenien
- Tschechien
13Wahlsystemtypen (2)
- Verhältniswahl (nur) nach nationaler Liste
- Bulgarien
- Moldova
- Grabensysteme
- Kroatien (bis 2000)
- Litauen
- Makedonien (1996 bis 2002)
- Russland (bis 2007)
- Ukraine (1998 bis 2006)
14Wahlsystemtypen (3)
- Kompensatorische Wahlsysteme
- Albanien
- Ungarn
- Absolute Mehrheitswahl
- Makedonien (bis 1996)
- Ukraine (bis 1998)
- Weißrussland
15Wahlsystemtypen (4)
- Kein Land mit relativer Mehrheitswahl
- Extrem häufige Änderungen des Wahlverfahrens
(z.B. Kroatien, Ukraine) - Lerneffekte offensichtlich (Überwindung des
Grabensystems!) - Verhältniswahl in Mehrpersonenwahlkreisen mit
Sperrklauseln (zwischen 3 und 5) als Norm
16Besonderheiten in MOE
- Sehr komplizierte Verfahren (Beteiligungsquoren,
Verrechnungsverfahren für Reststimmen,
qualifizierte Mehrheiten) - Gestaffelte Prozentklauseln (für Wahlbündnisse)
- ? Institutional engineering hat nur sehr
begrenzt funktioniert!
17Wahlen als Gradmesser der Demokratiequalität
- Allgemeine, gleiche, geheime und freie Wahlen in
allen Verfassungen verankert - Genauere Regelungen meist in eigenen Gesetzen
(leichter zu ändern ? ständiger Wandel des
Wahlrechts in einigen Ländern Demokratiedefizit
oder demokratischer Lerneffekt?)
18Allgemeine Wahlen
- De jure fast überall gewährleistetProblemfälle
Estland und Lettland? exklusive
Staatsbürgerschaft (Diskriminierung der
ethnischen Russen) - De facto überall dort problematisch, wo ethnische
Konflikte bzw. Sezessionsbestrebungen existieren
(Bosnien, Serbien, Moldova)
19Freie Wahlen
- In allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und
des ehemaligen Jugoslawien sowie in Polen
zunächst halbfreie Vorgründungswahlen ?
entscheidende Weichenstellungen bereits vorab
vollzogen - De jure seither überall freie Wahlen verankert
- De facto Beeinträchtigungen ex-ante (Behinderung
von Oppositionskandidaten, Parteiverbote etc.)
und ex-post (Fälschungen) nehmen zu
Weißrussland, Ukraine, Russland als
BeispieleABER besondere Sensibilität der
Bevölkerungen!
20Faire Wahlen
- Größtes Problem, da Verstöße oft nur schwierig
zu messen/nachzuweisen - Häufige Mängel
- Ungerechte Wahlkampffinanzierung
- Ungleicher Medienzugang
- Missbrauch des Amtsbonus
- Beeinflussung der Wähler (Geschenke, Militär in
den Wahllokalen etc.) - ABER
- Unterscheidung zwischen technischen Mängeln
(mangelnder Erfahrung) und bewusster Verletzung
der Fairness